Artist Talk mit Noomi Moyal

Noomi Moyal

Artist Talk

Noomi Moyal im Gespräch mit der Kunstwissenschaftlerin Karin Görner und den Mitstudierenden Laetitia Eskens und Alicia Schmitz

Kunsthochschule Mainz, GRC-Class Prof.in Parastou Forouhar, November 2022

KG: Noomi, deine Bilder – figurative, meist großformatige Malerei – entwickeln auf den ersten Blick eine beeindruckende Räumlichkeit und intensive Präsenz, an der man nicht vorbeikommt. Ich frage mich, wie machst du das?

NM: Vielleicht liegt es daran, dass meine Bilder immer fokussiert sind auf eine Person und ein ganz bestimmtes Geschehen, oder eine Dynamik zwischen zwei oder mehreren Personen. Was ich mir vorstelle, wenn ich so eine Arbeit mache, ist, dass ich eine ganz bestimmte Geschichte erzählen will und versuche, die Atmosphäre dieser Erzählung einzufangen.

KG: Es sind nicht nur Porträts von bestimmten Personen, sondern vielmehr Porträts von Figuren in einer speziellen Situation. Ist so eine Konstellation auch dein Ausgangspunkt, dein Motiv für den Beginn einer Arbeit?

NM: Ja, in jedem Fall. Ich habe auch schon öfter Porträts gemalt, bei denen ich mir gedacht habe, ich mache jetzt einfach nur ein Porträt. Es war dann meist so, dass sich da nichts tut für mich, es hat mich schnell gelangweilt. Es braucht schon immer eine Geschichte, die ich durch diese oder mit dieser Person erzähle.  Zum Beispiel hier, in Rhinestone Cowboy (Öl/Lwd., 180×200 cm, 2022): Ich kenne ihn schon länger, er ist ein Freund und er ist ein bisschen ein Enigma für mich, also ein ganz besonderer Typ. Ich wollte erzählen, wie er wirkt auf mich, als Mensch, dieses so maskuline Äußere, und gleichzeitig diese feminine, sehr sanfte Natur – eben was ihn so ausmacht in meinen Augen.  Aber das ist nicht bei allen Bildern so, hier bei der mehrteiligen Arbeit Intermezzo Sojeong (2020-21) geht es nicht unbedingt um die Person, sondern eher um das, was sie macht oder was ihr Empfinden ist, um diese Gestik, sich so zu verstecken.

KG: Das Bild Welche Blume begibt sich auf Schifffahrt? (130×150 cm, 2021) unterscheidet sich auch von den anderen, in der Art, wie du diesen Körper darstellst, mit der Übergröße von Oberkörper und den Händen.

NM: Ja, das sind Details, die mich reizen, perspektivische Verzerrungen zum Beispiel, das ist dann einfach auch malerisch für mich spannend. 

KG: Ich würde gerne noch mehr darüber erfahren, wie du an eine Arbeit herangehst, wie ist dein Prozess, wenn du ein Bild beginnst?

NM: Es ist unterschiedlich, in der Regel geht es immer von einem Foto aus, entweder eins, das ich spontan gemacht habe, wie bei den beiden dort zum Beispiel (zwei Familienpizzen). Da war ich auf einem Geburtstag und habe mit dem Handy wild durch die Gegend fotografiert. Ich habe so kleine Momente eingefangen, in denen die Leute für sich waren und man nur als Beobachter agiert. Aber bei ihm (Rhinestone Cowboy) hatte ich konkret die Idee, dass ich ihn porträtieren will und habe der Person gesagt, zieh genau das an, ich will dich in einem bestimmten Kontext darstellen.

KG: Du hast die Situation vorgegeben?

NM: Ja, so ungefähr, wir haben ein bisschen was ausprobiert, wir waren draußen und haben paar Fotos gemacht, aber es ist alles nicht so wirklich was geworden. Dann haben wir hier im Atelier gesessen am Abend und ich habe einfach spontan Fotos gemacht. Daraus ist dann das Bild entstanden. Das heißt, es ist auch konstruiert, es ist immer mal so, mal so.

KG: Du nutzt als Vorlage immer Fotos, oder arbeitest du auch direkt mit Modellen?

NM: Ich arbeite eigentlich immer mit Fotos, ich mache verschiedene Fotos und stelle mir diese dann zusammen. Hier zum Beispiel bei Intermezzo Sojeong, da hab ich gesagt, stelle dich mal in die Küche, ich mache ein Bild von dir, mit dem Rollkragen über dem Gesicht.

KG: Das ist interessant, weil ja dennoch eine Andeutung des Porträts ausgearbeitet ist. 

Du findest deine Motive also nicht nur in einer ganz konkreten Situation und Umgebung, sondern du konstruierst auch Szenarien und stellst Hintergrund, Vordergrund und die Figur gesondert zusammen.

Worum geht es hier, was ist hier die Story? 

NM: Die Vorgeschichte zu Schnelle Brille (200×220 cm, 2022) ist ein bisschen länger: Ich habe vor Ewigkeiten mal ein Bild von meinem Cousin angefangen, wie er auf einem Holzpferd sitzt, bei meinen Eltern im Garten. Bei meinem letzten Besuch zuhause lag eine Zeitung auf dem Tisch, eine Seite offen mit diesem Bild von Putin mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd, und da fiel mir das Bild von meinem Cousin wieder ein. Ich habe dann meine Schwester gebeten, setz dich mal auf das Holzpferd, – mit der Fahrradbrille von meinem Vater und den Gartenschuhen meiner Stiefmutter – und ich porträtiere dich, als Putin auf dem Pferd sozusagen.

KG: Eine genderkritische Variante sozusagen…

NM: Ja, ich habe tatsächlich schon öfter von Leuten gehört, die das Originalbild kennen, dass sie direkt die Assoziation hatten, weil es ein sehr bekanntes Bild von ihm ist, das im Internet kursiert.

LE:  Ich würde gerne ein paar Gedanken einwerfen, die mir beim Zuhören gekommen sind: Welche Rolle spielt Beobachtung für dich, weil du ja eben schon erwähnt hast, dass du, während du Situationen erlebst, einen bestimmten Blick hast, auch fotografierst. Trotzdem sind es ja bestimmte Fotografien oder Bilder, die dann das Potential haben, gemalt zu werden oder als Vorlage oder Inspiration für ein Bild dienen können.

Aus einer großen Alltäglichkeit und Nahbarkeit entwickeln deine Bilder ja auch eine Art Entrücktheit, etwas Brüchiges entsteht. Gibt es das für dich, dass du merkst, hier passiert irgendwie mehr, da gibt es eine Tiefe oder Nähe oder eine Transzendenz hin zu etwas Allgemeinerem?

NM: Ich weiß es selber gar nicht so genau, weil ich in jeder Situation viel fotografiere, im Plenum mache ich auch immer viele Fotos von den Leuten. Ich glaube, dass es eher unbewusst passiert, dass ich das Gefühl habe, hier passiert gerade etwas, wie man miteinander interagiert oder jemand sitzt herum und schaut durch die Gegend. Es ist dann eher im Nachhinein, dass ich mir Fotos nochmal anschaue und das eine oder andere löst etwas in mir aus, erzählt etwas. Es ist meist so, dass mir erst im Prozess, während ich ein Bild male, bewusst wird, was ich eigentlich damit zeigen will, was daran interessant ist für mich.

LE: Würdest du sagen, dass es Themen oder Motive gibt, die dich besonders beschäftigen?

NM: Ich habe ja einige Arbeiten, in denen es um das Verstecken geht, das ist eine Reihe – und ja, auch Männerbilder, Männer, die eine sanfte Seite zeigen auf eine Art …

LE: : Das habe ich auch gedacht, es geht es schon oft um Männlichkeitsbilder und selbst dann, wenn du weiblich gelesene Personen porträtierst, habe ich manchmal den Eindruck,

dass es auch da etwas gibt, dass eigentlich ein Verhältnis auslotet.

AS: Vielleicht noch kurz zu dem Punkt: Du sagst, du machst Bilder, auf den ersten Blick lustige Situationen, die dann aber irritieren, so dass man sich fragt, was ist das denn jetzt, so wie hier das Bild mit dem Mann in Uniform. Da entsteht ein Irritationsmoment, es ist irgendwie lustig, aber dann auch wieder nicht ….

NM: Das Bild The sun shall not harm you by day, nor the moon by night ist 2021 entstanden. Ich hatte bei studentischen Filmdrehs ausgeholfen und dafür Kostüm gemacht. Für eine Produktion musste ich SS-Uniformen beim Theater ausleihen. Weil keiner der Schauspieler in der Nähe greifbar war, habe ich meinem Freund gesagt, zieh das Kostüm mal an, damit ich sehen kann, wie das alles zusammen aussieht. Das fand ich dann so absurd, dass er als migrantisierter Mann in dieser SS-Uniform in meinem jüdischen Haushalt auf diesem Orientteppich stand…

KG: Die Szene bietet vielschichtige Bedeutungsebenen an …

NM: Ja, ich habe mich bei dem Hintergrund an einem alten Foto orientiert, das ich von meinem Urgroßvater gefunden hatte in einem Fotoalbum. Es war noch in einem Fotostudio mit einer Kulisse aufgenommen worden, mit Teppichen und pompösen Vorhängen und Palmen. Der Urgroßvater stand darin einfach so im Anzug. Dieses Setting war ein bisschen die Inspiration dafür.

LE: Ich habe mich in der Reaktion auf deine Arbeiten gefragt, ob da auch eine soziale Idee, eine soziale Utopie oder so etwas stattfindet, weil du im Wesentlichen Menschen darstellst, die du kennst, die dir irgendwie nahe stehen?

NM: Ja, es ist schon so eine Sammlung von meinem Umfeld, vielleicht ein Dokumentieren meiner Wahrnehmung von den Menschen um mich herum. Und inzwischen kommt es vor, dass die Leute, die ich bisher nicht gemalt habe, kommen und sagen, wann werde ich denn endlich gemalt, ich will auch mal dran sein. Und dann sage ich, ja, dann mach doch mal was Interessantes.